Kulturschock wegen Kulturjournalismus – Meine Ankunft in München
So, angekommen. Da steige ich also mit meinem Rucksack, der pickepackevoll mit Vorurteilen ist, am Münchner Hauptbahnhof aus dem ICE. Den Rucksack hat mir meine Mutter fein säuberlich über die Jahre meiner Kindheit und Jugend hinweg gepackt. Einiges darin habe ich mit der Zeit aussortieren können, andere Vorurteile habe ich behalten – manche davon gerne, andere werde ich trotz einiger Bemühungen nicht los. Aber ich habe mir fest vorgenommen dem Ganzen hier eine ehrliche Chance zu geben – also München, Bayern und die ganze stark alkohol- und schweinefleischhaltige Chose. Ich bin ja nicht hier um feindselig zu sein. Ganz ehrlich. Ich meine, ich bin ja auch sozial und emotional bedürftig und vielleicht ist hier in München unter den ganzen Resis und Bastis und Floris (mit rollendem Rrrr) und Michis und Maxis ja jemand dabei, der oder die mir irgendwann ein*e Freund*in werden kann. Aber so weit bin ich noch lange nicht. Ich und mein Rucksack, wir müssen weiter. So schnell wie möglich. Denn in München dominiert das Oktoberfest, was bei mir auf jeden Fall für einen Kulturschock 3000 sorgt. Lauter Uniformierte, von denen sich die meisten schon ordentlich einen reingehämmert haben. Und diese Tracht, diese Kleidung längst vergangener Zeiten, die hier viele tragen, lassen mich in Kombination mit dem vielen Alkohol doch fürchten, dass sich die Menschen dann auch so verhalten, wie in längst vergangenen Zeiten. So abwegig ist das ja nicht. Also nichts wie weg.
Ich nehme die Straßenbahn 17, steige am Romanplatz aus und laufe ein paar Minuten bis ich schließlich mein neues Zuhause für die kommenden zwei Jahre betrete. Ich kann es nicht glauben. Habe ich also tatsächlich meine Zweizimmerwohnung in Berlin Prenzlauer Berg mit Balkon gegen ein Zimmer in einer 5-er-WG in einem Studierendenwohnheim in München getauscht? In wenigen Wochen werde ich 30. Und so Ansprüche, die nehmen doch im Alter eigentlich zu und nicht ab. Sollte es in meinem Alter nicht eher Upgrade anstatt Downgrade heißen? Andere Leute in meinem Alter kaufen sich ein Grundstück oder eine Eigentumswohnung und ich zwänge mich wieder in 18 Quadratmeter hinein. So ´ne Scheiße. Ich mache hier echt den Benjamin Button des sozialen Aufstiegs.
Außerdem habe ich Heimweh. Jetzt schon. Normalerweise würde ich mir in so einer Situation im rbb sowas wie „Berlins 30 schönste Bordsteinkanten“ oder „die 100 aufregendsten Bushaltestellen“ ansehen und dabei vor Rührung über mein Zuhause mit den Tränen kämpfen. Aber das geht jetzt nicht. Ich muss mich einrichten. Denn grad ist außen fremd und innen ist auch noch fremd. Die sanitären Anlagen hier gleichen der einer abgelegenen Raststätte ohne SANIFAIR. Also muss ich wohl oder übel erstmal die Exkremente angehender Akademiker*innen wegwischen, um ein Minimum an Wohlfühlfaktor herzustellen. Mein Gott, so begabt und intelligent und vier Sprachen und drei Instrumente aber zum Kacken zu blöde. Servus, Grüzi und hallo – so gerne putz´ ich euer Klo!
„Du musst mal raus aus Berlin“, haben sie gesagt. „Das ist wichtig“, haben sie gesagt, „dass du auch mal was anderes in deinem Leben siehst.“ Und tatsächlich sollte ich also jetzt mit fast 30 Jahren das erste Mal in meinem ganzen Leben länger als drei Monate meiner Heimatstadt fernbleiben. So, wie es mir Freunde und Bekannte schon seit Jahren ans Herz legen. Die ganzen Hansel ziehen schön einer nach dem anderen nach Berlin, aber ich soll mich verpissen? Es piept ja wohl.
Schon mein Opa wollte nie weg aus Berlin. In den 60er Jahren (glaub ich) hat ihm mal ein Arbeitskollege vorgeschlagen, gemeinsam nach Kanada auszuwandern. Mein Opa hat mit den Worten abgelehnt: „Mensch, wat soll ick denn in Kanada?!“ Und 60 Jahre später sitzt seine Enkelin in ihren abschließbaren 18 Quadratmeter auf einem 90-Zentimeter breiten Einzelbett und fragt sich: „Mensch, wat soll ick denn in München?“
Die Antwort lautet: Der 9live-Hot-Button namens „Zukunftsängste“ hat wieder zugeschlagen!
Und als Konsequenz habe ich mich dann also – wie schon so unendlich oft in meinem Leben – umgesehen, was der deutschsprachige Bildungs- und Arbeitsmarkt hinsichtlich beruflicher Zukunft und Rente (hahahahaha) noch so für mich bereithält. Hab auch was gefunden. Ich meine, ich finde immer was. Kulturjournalismus. Das ist es. Diesmal wirklich. Diesmal zieh ich durch! Ganz sicher. Vor wenigen Wochen habe ich mich auf einen Studienplatz beworben. Und nach bestandener Eignungsprüfung werde ich nun, in nur wenigen Tagen, mit meinem Masterstudium im Fach Kulturjournalismus an der Hochschule für Musik und Theater München beginnen.
Als nächstes steht mir das Abenteuer „Bürgeramt“ bevor. Werde ich es schaffen mich umzumelden? Werde ich von einer Staatsbediensteten zur Sau gemacht, weil ich es nicht schnell genug nach Aufruf meiner Nummer in das richtige Zimmer geschafft habe? Oder sind das alles nur Sorgen, die man sich in Berlin machen muss und in München bekommt man beim Bürgeramt einen Cappuccino angeboten?
Stay tuned und komm mit, komm mit mir ins Abenteuerland München, Studium und Bürgeramt.
P.S. So viel schon mal vorab: Überhaupt einen Termin beim Münchner Bürgeramt zu ergattern, hat mir auf jeden Fall warme Zuhausegefühle bereitet.
From Sarah with love